Mo., 31.10.2016 , 10:17 Uhr

Computer auf der Überholspur

Autofahrer sind bald nur noch Beifahrer. Auch in Serienfahrzeugen führen heute schon Rechner, Kameras und Sensoren das Steuer. Die deutschen Autobauer sind ganz vorn mit dabei – und doch ganz vorsichtig.

 

 

München – Jochen Mück ist schon in der Zukunft unterwegs. Seit März hat sich der 30-jährige Robotik-Ingenieur schon 20 000 Kilometer von einem Computer über die deutschen Autobahnen steuern lassen. Mück und seine Kollegen bei Audi sind mit ihren Testwagen oft zwischen München und Nürnberg unterwegs, lassen sich aber auch nach Wolfsburg oder Genf fahren oder quer durch die USA. Jack haben sie den Autopiloten getauft. „Wenn ich privat auf der Autobahn fahre, vermiss ich ihn schon“, sagt Mück.

 

Heute sitzt Stefanie Angerer auf dem Fahrersitz neben Mück. Per Knopfdruck hat die Ingenieurin, die bei Audi für die Sicherheit von Assistenz-Systemen verantwortlich ist, Jack das Steuer übergeben. Ein grünes Leuchtband quer über das ganze Armaturenbrett signalisiert: Jack fährt. Angerer liest eine E-Mail, während das Auto auf der A9 bei Ingolstadt eine Baustelle passiert. Danach beschleunigt der Wagen und überholt einen Lastwagen. „Wir versuchen, die natürliche Fahrweise abzubilden“, sagt Angerer. „Hektische Spurwechsel mögen wir nicht. Es soll ein angenehmes Reisen sein.“

 

Alle Autohersteller arbeiten an selbstfahrenden Autos. In fünf Jahren wollen Mercedes, BMW und Audi Serienfahrzeuge mit Autopilot auf die Straße bringen. Mit immer ausgereifteren Fahrer-Assistenz-Systemen sind sie auf bestem Weg dahin. Die Assistenz-Systeme in der E-Klasse, im Q7 oder dem 7er können schon heute selbstständig beschleunigen und bremsen, beim Abbiegen auf den Gegenverkehr achten, Verkehrsschilder erkennen, bei Tempo 200 die Spur halten und bei Betätigung des Blinkers selbst auf die Überholspur wechseln. Und am Ziel fahrerlos einparken. Die Autokäufer zahlen mitunter 5000 Euro Aufpreis dafür. Aber die Nachfrage ist hoch.

 

Deutsche Automobilhersteller seien „vor den USA weiterhin an der Spitze, wenn es um automatisierte Funktionen in Serienfahrzeugen geht“, stellten die Unternehmensberatung Roland Berger und die Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen Aachen fest. Deutschland und die USA seien heute führend bei Forschung und Entwicklung.

 

Kameras erkennen Autos und Fußgänger, Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen. Laserscanner, Radar- und Ultraschallsensoren messen Entfernung und Geschwindigkeit aller Objekte in der Umgebung und erkennen Hindernisse. Ein Computer gleicht alle Informationen mit den Navi-Daten ab.

 

„Unter Idealbedingungen“ könnten Autos heute schon weite Strecken allein fahren – wenn Wetter, Straßenzustand, Verkehrslage mitspielen, sagt BMW-Sprecher Manfred Poschenrieder. Aber das verbietet nicht nur das Gesetz. Auch die Technik sei noch lange nicht so ausgereift, dass sie in jeder Situation garantiert funktioniert.

 

„Ampelerkennung klingt einfach. Aber wenn ich aus 100 Meter auf ein Rotlicht zufahr, ist es nur ein Pixel groß“, erklärt Daimler-Sprecherin Katharina Becker. Wenn daneben ein Richtungspfeil für Abbieger grün zeige, sei der Farbfleck noch kleiner. „Eine Wahnsinns-Herausforderung.“ Ein anderes Beispiel: „Bei Nebel sieht die Kamera nichts mehr“, sagt Poschenrieder. Das Radar kann noch nicht jeden Reflexpunkt sicher zuordnen. Zentimetergenaue Karten und die Vernetzung der Autos untereinander sind noch in Arbeit. „Wir müssen noch besser werden“, sagt Angerer.

 

Der Übergang vom Fahrer-Assistenz-System zum echten Autopiloten sei fließend, aber „ingenieurtechnisch ein Riesenunterschied“, sagt Angerer. „Alles, was schiefgehen kann, müssen wir doppelt absichern.“

 

Mück sagt, auf 20 000 Kilometern per Autopilot habe er nur einmal eingegriffen: „Als uns ein anderes Auto plötzlich scharf geschnitten hat.“ Jack hätte das auch geschafft. „Aber ich wollte kein Risiko eingehen und eine Vollbremsung auf der Autobahn vermeiden.“ In jedem Testwagen sitzt zur Sicherheit noch ein Fahrer. Professor Hermann Winner, Experte für Autonomes Fahren an der TU Darmstadt, sagt: „Mir ist kein Versuch weltweit bekannt, der auf Sicherheitsfahrer verzichtet.“

 

Zwei Minuten vor der Autobahn-Ausfahrt wechselt Jack auf die rechte Spur, verlangsamt das Tempo und fordert Angerer auf, sich für die Übergabe des Steuers bereit zu machen. Und wenn sie nicht reagieren würde? „Dann würde Jack auf den Standstreifen lenken und bremsen.“

 

Autonomes Fahren in der Stadt, das wird die Königsdisziplin. Gegenverkehr, querende Radfahrer, Leuchtreklame und Fußgänger – „die Stadt ist chaotisch“, sagte Becker. Prototypen sind testweise in Braunschweig und Stuttgart, Pittsburgh und Göteborg unterwegs – aber bis Autopiloten durch jede Stadt fahren können, „das wird noch 20, 30 Jahre dauern“, sagt Mück.

 

dpa

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