Di, 15.05.2018 , 09:17 Uhr

Nötig oder unverhältnismäßig? Das neue bayerische Polizeigesetz

Das gab es seit Jahren nicht in Bayern: Zehntausende, die gegen ein Gesetz der Staatsregierung auf die Straße gehen. Die CSU aber bleibt hart. Am Ende dürften Verfassungsrichter das letzte Wort haben.

 

Das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern lässt die Wogen kräftig hochschlagen. Vor seiner Verabschiedung, die für den späten Dienstagabend geplant ist, gab es in Sichtweite des Landtags laute Proteste, insbesondere bei einer Demonstration am vergangenen Donnerstag mit Zehntausenden Menschen. Am Ende dürfte das Gesetz verfassungsgerichtlich überprüft werden. Fragen und Antworten dazu:
 

Weshalb ist ein neues Polizeiaufgabengesetz eigentlich notwendig?

 

Eine Neufassung ist nötig, weil das bestehende Gesetz an europäische Datenschutzvorgaben und an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Bundeskriminalamtsgesetz angepasst werden muss. Das passiert derzeit auch in anderen Bundesländern. Die Staatsregierung allerdings nutzt die ohnehin nötige Neuregelung gleichzeitig, um die Kompetenzen der Polizei teils deutlich zu erweitern. Ein Hauptargument: Man müsse mit Verbrechern mithalten, auch technisch.

 

Warum wird das Gesetz so massiv kritisiert – und was genau?

 

Kritiker beklagen, dass der Freistaat damit das schärfste Polizeirecht der deutschen Nachkriegsgeschichte habe. Ein zentraler, grundsätzlicher Kritikpunkt ist die Absenkung der Eingriffsschwelle für die Polizei: Sehr viel mehr Befugnisse als bisher können die Beamten künftig nicht erst bei einer «konkreten», sondern schon bei einer «drohenden» Gefahr anwenden. Der Begriff der «drohenden Gefahr» ist zwar nicht neu, er steht so schon seit einem Jahr im Gesetz – wobei Kritiker darauf verweisen, dass der Begriff eigentlich im Zuge der Terrorbekämpfung eingeführt worden sei. Er wird nun aber eben bei deutlich mehr Polizeibefugnissen als bisher Anwendung finden. Ein weiterer Kritikpunkt: Der Begriff sei viel zu unbestimmt.

 

Sogar Juristen sind sich uneins: Der Richter am Landgericht München I, Markus Löffelmann, beklagte in einer Anhörung im Landtag einen Paradigmenwechsel im bayerischen Polizeirecht: Jeder bayerische Polizist bekomme mehr Befugnisse bei der Gefahrenabwehr als das Bundeskriminalamt im Kampf gegen den Terror. Dagegen argumentierte der Rechtsprofessor Markus Möstl, die Polizei müsse mit neuen Herausforderungen für die innere Sicherheit Schritt halten.

 

Welche neuen Befugnisse bekommt die Polizei – und was sagen Kritiker dazu?

 
Umstritten ist beispielsweise die Auswertung von DNA-Spuren schon zu Fahndungszwecken. Das Innenministerium argumentiert, mit einer DNA-Untersuchung von Geschlecht, Augen-, Haut- und Haarfarbe, Alter und Herkunft könne «der Kreis der potenziellen Gefährder eingegrenzt werden». Kritiker, darunter im Übrigen auch der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri, stören sich daran, dass die Polizei das genetische Programm eines Menschen auswerte, also zu Zwecken der Gefahrenabwehr in die Gene «hineinschauen» dürfe.

 

Umstritten ist auch die Ausweitung des Einsatzes von Körperkameras («Bodycams») durch Beamte, auch in Wohnungen und ohne dass dies anschließend durch einen Richter bestätigt werden müsste. Ebenso umstritten sind eine Vielzahl «technischer» Befugnisse, die die Polizei bekommen soll, etwa der Zugriff auf Cloud-Speicher. Petri hatte erklärt, die neuen zahlreichen Datenverarbeitungsbefugnisse halte er «unter Freiheitsaspekten für problematisch».

 

Was nicht stimmt: dass künftig jeder Streifenpolizist Handgranaten und Sprengstoff einsetzen darf, wie manche Kritiker gegen das Gesetz ins Feld geführt hatten. Das dürfen nur Spezialeinsatzkommandos.

 

Hat die CSU auf die Kritik der vergangenen Monate reagiert?

 

Ein bisschen. Einige Punkte wurden abgeschwächt oder entfallen. Beispielsweise wird auf die automatisierte Gesichtserkennung bei Videoüberwachungsmaßnahmen verzichtet. Doch der zentrale Kritikpunkt, nämlich an der Ausweitung der polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten schon bei einer «drohenden Gefahr», bleibt. Ministerpräsident Markus Söder hat lediglich eine breite Informationsoffensive über die neuen Regelungen angekündigt. Und: Eine Kommission soll die Umsetzung des Gesetzes kritisch begleiten und überprüfen. Die Opposition kritisiert das freilich als völlig untaugliche Beruhigungspillen.

 

dpa

Erklärt polizeiaufgabengesetz
Zur Übersicht

Das könnte Dich auch interessieren

16.05.2023 Warnstreik am Mittwoch 17.05.2023 im Einzelhandel Im bayerischen Handel hat die Gewerkschaft Verdi für Mittwoch zu Warnstreiks aufgerufen. Insgesamt geht es um mehr als 170 Betriebe aus Einzelhandel, Versandhandel und Großhandel, die sich über den ganzen Freistaat verteilen, erklärte die Gewerkschaft. Sie will mit der Aktion in der laufenden Tarifrunde Druck machen. Angesichts der jüngsten Angebote der Arbeitgeber müsse jeder Euro 02.05.2024 Duale Ausbildung Mediengestalter*in Bild & Ton (m/w/d) 19.02.2024 Tierisch München: Pflegetiere der Tierhilfe Fünfseenland suchen ihr langfristiges Glück Die Tierrettung Fünfseenland e.V. möchte dazu beitragen, dass Menschen und Tiere gemeinsam alt werden und glücklich sind. Genau deshalb haben wir den Verein und seine Schützlinge besucht. Vielleicht verlieben Sie sich ja in eine der Fellnasen.   BERRY UND RUSTY Europäisch Kurzhaar 2017 und 2018 geboren Geschwister, die im Doppelpack vermittelt werden verstehen sich gut 11.12.2023 Tierisch München: Angorakaninchen suchen neue Halter mit Erfahrung und Katzenduo Bärli und Cliff wünschen sich eine liebevolle Familie mit streichelnden Händen Die Tierfreunde Brucker Land sind ein kleiner Tierschutzverein in Maisach im Landkreis Fürstenfeldbruck. In einem provisorischen Unterkunft pflegen sie ihre Tiere seit Jahren. Immer wieder brauchen Kleintiere ihre Hilfe, egal ob Streuner, Unfalltiere, Tauben oder beschlagnahmte Tiere – viele von Ihnen finden dort übergangsweise ein Zuhause. Die Tierschützerinnen und Tierschützer setzen sich für eine Kastrationspflicht