Vor dem Krisentreffen zur Zukunft von Kaiser’s Tengelmann wächst bei den Mitarbeitern in Bayern die Sorge um ihre Jobs. Bei der Gewerkschaft häufen sich die Anfragen. Aber die Aussichten sind nicht so schlecht.
Von Roland Losch und Christine Schultze, dpa
München (dpa/lby) – Der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann droht die Zerschlagung – in München und Oberbayern bangen fast 4900 Tengelmann-Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze. Aber ihre Chancen scheinen besser zu stehen als die ihrer Kaiser’s-Kollegen in Berlin und Nordrhein-Westfalen.
«Der Lebensmitteleinzelhandel hat in München expandiert und viel investiert, und auch Tengelmann hat hier in den letzten Jahren noch investiert», sagt Dominik Datz von der Gewerkschaft Verdi am Donnerstag. «Das ist eine lukrative, boomende Region.» Die Kaufkraft sei hoch, und der Zuzug sorge für wachsende Nachfrage.
Zudem ist das Angebot an Supermärkten noch nicht so üppig wie in anderen Regionen. «Auf einen Einwohner kommen in München nur 0,3 Quadratmeter Verkaufsfläche. Das liegt unter dem Bundesdurchschnitt», sagt Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. «Das heißt: Weniger Supermärkte kämpfen um Kunden mit hohem Einkommen.» Und Tengelmann komme in München auf stolze 14 Prozent Marktanteil: «Das kann sich sehen lassen!»
Ein junger Tengelmann-Mitarbeiter in einer Münchner Filiale gibt sich gelassen: «Wenn es Edeka wird, dann wird es halt Edeka», sagt er. Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, habe er nicht – und es gebe auch anderswo Jobs. Bei den älteren Kollegen könne das aber schon etwas anders aussehen.
«Die Stimmung unter den Kollegen ist okay. Was soll man machen?», sagt ein Marktleiter. «Natürlich machen sich einige Kollegen Sorgen, vor allem die älteren, die schon seit 30 Jahren dabei sind.»
Bei Verdi hat man einen etwas anderen Eindruck gewonnen. «Wir haben sehr viele Mitgliederanfragen in den letzten Wochen und Tagen erhalten: Soll ich mir ‚was Neues suchen oder auf eine Abfindung warten, soll ich eine Vertragsänderung akzeptieren, rechtliche Fragen», sagt Gewerkschaftssekretär Datz. «Da ist eine irrsinnige Unruhe da.»
Rund 4900 Menschen arbeiten in Oberbayern für Tengelmann, in rund 190 Filialen, im Zentrallager in Eching, der Logistik und der Verwaltung. Zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen.
«Die meisten sind bisher auf dem wankenden Boot geblieben, die Kündigungsrate ist für ein Unternehmen mit dieser unklaren Zukunft relativ niedrig», sagt Datz. Als die Pläne für einen Verkauf an Edeka vor zwei Jahren bekanntwurden, hätten sich vermehrt Tengelmann-Mitarbeiter bei der Konkurrenz beworben, «aber dann war erst mal Ruhe».
Der Gewerkschaft geht es vor allem um den Erhalt der tarifgebundenen Arbeitsplätze, der Betriebsratsstrukturen und der Mitbestimmung. Bei der Übernahme durch Edeka wären die Arbeitsplätze und Standorte inzwischen für fünf Jahre garantiert. «Aber die spannende und offene Frage ist jetzt, ob das zustande kommt», sagt Datz. Offizielle Informationen seien spärlich. «Die Beschäftigten sind total verunsichert, das meiste erfahren sie aus der Zeitung.»
Rewe hatte gegen die Übernahme von Tengelmann durch Edeka geklagt und in erster Instanz recht bekommen. Am Donnerstagabend wollten die Chefs von Tengelmann, Edeka und Rewe sowie von Verdi zu einem Krisengipfel zusammenkommen.
Bei einer Zerschlagung von Tengelmann könnte es zu Gebietsbereinigungen kommen, je nachdem, welcher Konkurrent den Zuschlag erhält. «Kaum ein Unternehmen würde zwei Filialen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander betreiben», sagt der Gewerkschafter.
Immerhin gebe es Alternativen, im Einzelhandel würden Leute gesucht. «Bei Edeka und Rewe gibt es Tarifverträge, Betriebsräte, auf den ersten Blick also alles gut», sagt Datz. Aber Edeka und Rewe hätten auch Filialen, die von privaten Kaufleuten betrieben werden. «In diesem Bereich sind die Löhne deutlich niedriger, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind nicht selbstverständlich, Betriebsräte gibt es nur gelegentlich, und wer dort anfängt, dessen Stelle ist in der Regel befristet, oft mit 15 oder 20 Wochenstunden nur.» Lidl und Aldi Süd hielten sich an Tarifverträge, aber nur wenige Beschäftigte fielen unter den Schutz von Betriebsräten.
Bei den Kunden ist das Echo geteilt. Die 91-jährige Emmi Griß, die am Vormittag für einige kleinere Besorgungen in eine Tengelmann-Filiale gekommen ist und sich auf einen Rollator stützt, fände es schlimm, wenn der Laden am Ende vielleicht sogar schließen müsste: «Um Gottes willen», sagt die alte Dame. Das Geschäft sei gut geführt – und in der näheren Umgebung gebe es für sie kaum gut erreichbare Alternativen. Ganz anders sieht es eine 29-jährige Kundin, die mit Kinderwagen unterwegs ist. Sie wohnt in der Nähe, geht aber für viele Einkäufe lieber zum Discounter, weil es dort billiger sei. Und Fleisch kaufe sie lieber beim Metzger.