Mo, 18.06.2018 , 12:42 Uhr

Seehofer geht auf Merkel zu - Zurückweisungen nur schrittweise

Der erbitterte Streit über die deutsche Asylpolitik zwischen CDU und CSU entschärft sich etwas. Innenminister und CSU-Chef Seehofer räumt Kanzlerin Merkel eine Frist ein, um bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten zu schließen. Doch reicht die Zeit?

 

Berlin/München  – Die CSU kommt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im unionsinternen Asylstreit entgegen und will die umstrittene Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze nur schrittweise einführen. CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer lässt nun zwar umgehend umfassende Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen vorbereiten. Tatsächlich begonnen werden soll damit aber erst, wenn keine Vereinbarungen dazu mit EU-Partnern zustande kommen. Dies hat Seehofer am Montag in München im CSU-Vorstand erklärt, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr.

 

Bei den geplanten Zurückweisungen geht es der CSU um Migranten, die bereits in anderen EU-Ländern als Asylbewerber registriert sind. Einen konkreten Zeitpunkt dafür nannte Seehofer zunächst nicht. In Parteikreisen wurde aber davon ausgegangen, dass der EU-Gipfel Ende des Monates das letztmögliche Datum wäre. Bei der Frage von Zurückweisungen an der Grenze gebe es mit ihm keinen Kompromiss, sagte Seehofer nach Teilnehmerangaben.

 

Als ersten Schritt kündigte er demnach an, umgehend diejenigen Ausländer an den Grenzen abweisen zu lassen, die mit einem Einreiseverbot belegt sind. Das wolle er schon in den kommenden Tagen anweisen, erklärte er. Eine Sprecherin des Innenministeriums erläuterte, dass Menschen mit Wiedereinreisesperre bisher wieder einreisen dürfen. Sie könnten aber theoretisch auch in Sicherungshaft genommen werden bis über ihren Antrag entschieden sei.

 

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, bezeichnete die aktuelle Praxis, wonach auch Migranten mit Einreiseverbot nach Deutschland kommen können, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur als «Stück aus dem Tollhaus». «Wer auch immer ‚Asyl‘ sagen kann, kann einreisen», sagte er.

 

AfD-Vize-Fraktionchefin Beatrix von Storch schrieb auf Twitter: «Seehofer macht sich echt zum Horst mit so was. In welchem Land der Welt ist sowas bitte eine Nachricht wert – außer in Bananenrepubliken?»

 

Die Führungsgremien der beiden Schwesterparteien CDU und CSU sind am Vormittag zu getrennten Sitzungen in Berlin und München zusammengekommen, um über den unionsinternen Konflikt zu beraten. Die CSU will künftig Asylbewerber an der Grenze abzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden.

 

Merkel lehnt einen nationalen Alleingang in der Flüchtlingspolitik ab. Sie setzt darauf, eine Lösung unter dem Dach der Europäischen Union zu erreichen, und strebt bilaterale Abkommen mit Staaten wie Italien, Österreich, Griechenland oder Bulgarien zur Zurückweisung von Flüchtlingen an. Am Sonntagabend beriet sich Merkel bereits in einem engen CDU-Führungszirkel über das weitere Vorgehen. Ergebnisse des fast siebenstündigen Treffens wurden nicht bekannt.

 

Seehofer stellte den Kreisen zufolge in Aussicht, dass die neue bayerische Grenzpolizei auch eigenständig Grenzkontrollen durchführen darf – im Rahmen der Befugnisse, die auch die Bundespolizei hat. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte demnach an, ab Dienstag werde es Gespräche zwischen Bund und Bayern über die Unterstützung an der Grenze geben.

 

Seehofer hatte sich in dem Unionsstreit zuletzt moderater gezeigt. In der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Montag) schrieb er, es sei von entscheidender Bedeutung, «dass der EU-Gipfel Ende Juni endlich zu Beschlüssen kommt, die Deutschlands Lasten in der Migrationspolitik anerkennen und einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und eine faire Verteilung der Menschen mit Bleiberecht ebenso gewährleisten wie eine schnelle Rückführung der Menschen ohne Bleiberecht».

 

Am Montagabend wollte Merkel mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über die Flüchtlingspolitik reden. Italien ist am meisten betroffen von neu ankommenden Flüchtlingen aus Afrika, von denen aber viele weiter nach Norden ausreisen. Die neue Regierung in Italien machte aber bereits deutlich, dass sie eine qwesentlich härtere Gangart umsetzen will. Dies zeigt auch der Fall des Rettungsschiffs «Aquarius» mit hunderten Migranten an Bord, dem Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini die Einfahrt in einen Hafen des Landes verwehrt hatte.

 

Die «Welt» berichtet unter Berufung auf hohe EU-Diplomaten, Merkel plane ein Sondertreffen mit Italien, Österreich und weiteren Staaten im Vorfeld des EU-Gipfels am 28. und 29. Juni. Dabei sollten neue umfangreiche Maßnahmen im Kampf gegen die illegale Zuwanderung beraten werden. Konkret werde es unter anderem darum gehen, das Mandat und damit die Aufgaben der EU-Grenzschutzbehörde Frontex deutlich zu erweitern und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu stärken.

 

Die CSU hat für ihre Position im Asylstreit mit der CDU nach einer Meinungsumfrage die Rückendeckung der großen Mehrheit der Bürger in Bayern. Dort befürworten fast 71 Prozent der Menschen einen Bruch der großen Koalition im Bund, wenn sich die CSU nicht mit ihrer Forderung nach Abweisung von Flüchtlingen an der Grenzen durchsetzen sollte. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der «Augsburger Allgemeinen» (Montag) ergeben. Nur rund 24 Prozent sind demnach anderer Auffassung.

 

Bislang werden hierzulande nur Menschen an der Grenze abgewiesen, die nicht in Deutschland Asyl beantragen wollten – sondern zum Beispiel den Wunsch äußern, nach Schweden oder Dänemark weiterzureisen. Das Bundesinnenministerium erklärte, selbst ein Einreiseverbot habe zumindest bisher niemanden daran gehindert, einen weiteren Asylantrag zu stellen. «Insofern wäre es eine Änderung der bisherigen Praxis.» Über eine Abweisung dieser Gruppe von Ausländern an der Grenze sei ihr bislang nichts bekannt, sagte Ministeriumssprecherin Eleonore Petermann.

 

Zu den von Seehofer geforderten Zurückweisungen von Migranten, die andernorts in der EU registriert sind, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, «dass das gültige europäische Recht nicht von unilateralen Zurückweisungen ausgeht», sondern von der Prüfung jedes Einzelfalles. Diese Prüfung müsse «bei uns erfolgen». Dies sei die Rechtsauffassung der Bundeskanzlerin.

 

dpa

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