Die Rekordzahl an Flüchtlingen bringt die Behörden ins Schleudern. Offenbar weiß niemand genau, wie viele Menschen heuer angekommen sind. Sicher ist aber, dass alle diesjährigen Flüchtlingsprognosen falsch waren.
München – Die Zahl der in Bayern untergebrachten Flüchtlinge hat sich seit Jahresbeginn mehr als verdreifacht. Derzeit sind es rund 110 000 Menschen, wie ein Sprecher des Sozialministeriums am Montag auf Anfrage sagte. Damit ist bereits die Zahl erreicht, die Sozialministerin Emilia Müller (CSU) Anfang August noch bis Jahresende erwartet hatte. Zum Vergleich: 2014 waren insgesamt 33 000 Asylbewerber in Bayern untergebracht worden.
Eine neue Prognose will die Staatsregierung nicht abgeben, da sich die Lage wöchentlich ändert. Die «Bild»-Zeitung berichtete am Montag über eine neue Schätzung des Bundes, dass heuer 1,5 Millionen Flüchtlinge Deutschland erreichen könnten. Die Reaktion von Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU): «Das sind lauter Hypothesen, ich mag dazu gar nichts sagen.» Derzeit träfen zwischen 5000 und 10 000 Menschen am Tag in Bayern ein.
Die Zahlen sind steil nach oben gegangen, seit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang September erklärte, dass keine Flüchtlinge nach Ungarn zurückgeschickt werden sollten.
Video: München organisiert Konzert für Helfer:
Allerdings gibt es Diskrepanzen zwischen den Flüchtlingszahlen des Bundes und der bayerischen Landesbehörden. Mitunter widersprüchlich sind auch die von den einzelnen Stellen der Bundespolizei gemeldeten Zahlen. Die Münchner Koordinierungsstelle des Bundes für die Verteilung der Asylbewerber geht davon aus, dass zwischen 3. und 30. September 270 000 Menschen in Deutschland angekommen sind – doch diese Zahl ist wegen Mehrfachregistrierungen möglicherweise zu hoch.
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erteilte deshalb bei der Kabinettssitzung am Montag den Auftrag an Sozial- und Innenministerium, die tatsächliche Zahl herauszufinden, wie anschließend zu erfahren war. Ungeklärt ist auch, wie viele Flüchtlinge sich derzeit durch Bayern bewegen, die von den Behörden noch nicht erfasst sind.
Wie sich die Lage bis Jahresende entwickeln wird, ist ungewiss. Das Mittelmeer ist im Herbst und Winter stürmisch, so dass in den vergangenen Jahren in der kalten Jahreszeit sehr viel weniger Menschen aus dem Mittleren Osten nach Europa kamen als im Sommer. (dpa)
Auch die sozialen Netzwerke werden überhäuft von Kommentaren in denen gegen Flüchtlinge gehetzt wird. Ein erschreckend großer Teil davon ist allerdings nichts anderes als Stammtischparole und zeugt von Unwissenheit, rechtem Gedankengut und falschen Informationen. Deshalb hier ein kleiner Faktencheck, der sich ständig wiederholenden Aussagen: (Lesen Sie dazu auch: Warum Flüchtlinge Smartphones wirklich brauchen)
Video: So können Sie helfen:
„Deutschland nimmt die meisten Flüchtlinge auf“
Das ist eine Aussage, die auch nicht zutreffend ist. Deutschland nimmt derzeit in Europa tatsächlich die meisten Asylbewerber auf, jedoch ist Deutschland auch von der Fläche und Einwohnerzahl viel größer als andere EU-Länder. (Wenn man das also mit der Einwohnerzahl pro Kopf ins Verhältnis setzt, nahm Deutschland, z.B., 2014 weniger Flüchtlinge auf, als andere EU-Staaten. Mehr dazu auch hier.)
Dennoch gibt es einige Länder außerhalb der EU, die weitaus mehr Hilfesuchende aufnehmen:
(Quelle)
„Echten Flüchtlingen helfen wir gerne, die Meisten sind aber sowieso Wirtschaftsflüchtlinge und Schmarotzer“
Tatsächlich kamen dieses Jahr bisher die meisten Flüchtlinge aus der Kosovo-Region, diese allerdings haben tatsächlich meist keinen Anspruch auf Asyl und werden deshalb auch „so schnell wie möglich“ wieder ausgewiesen. An zweiter Stelle folgen die Flüchtlinge aus Syrien, wo schreckliche Bürgerkriege herrschen und bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der IS-Terrormiliz tausende Menschen ums Leben kommen. Darunter auch viele Zivilisten.
Video: Die Situation der Kosovo-Flüchtlinge in München
„Wären es echte Flüchtlinge, würden nicht nur die Männer kommen.“
Knapp 2/3 der Flüchtlinge, die hier ankommen, sind Männer. Wenn man allerdings über Wüste, Mittelmeer und halb Europa flieht, ist das auch eine körperliche Anstrengung. Deshalb ist in der Regel das stärkste Familienmitglied das erste, dass das auf sich nimmt (bzw. das Familienmitglied, das die besten Chancen hat, die Familie weiterhin zu unterstützen oder ggf. auch nachzuholen). Gerade der Weg über das Mittelmeer ist eine sehr große Gefahr, die viele Väter erst sich selbst zumuten, bevor es ihre Frauen und Kinder tun. Wenn man jetzt in die Flüchtlingslager nahe den Krisengebieten genauer unter die Lupe nimmt, dann erkennt man übrigens, dass der Frauenanteil hier sehr viel höher ist. Es ist also falsch, dass nur die Männer fliehen, es kommen nur prozentual mehr in Europa an.
„Die Flüchtlinge bekommen das Geld hinterhergeschmissen“
Die Regelsätze für Asylbewerber liegen mit 362 Euro monatlich unter denen von Hartz4. Zumal man bedenken muss, dass davon noch einmal bis zu 60 Prozent abgezogen werden, was meist auch der Fall ist. (Für Unterkunft, Strom, Wasser und Heizung). Übrig bleiben dann 140 Euro im Monat, was weniger als 5 Euro am Tag entspricht. Offiziell stehen einem Flüchtling etwa 6 Quadratmeter für die Unterbringung zu. Wegen der hohen Anzahl an Flüchtlingen muss oft gerade mal ein Bett ausreichen.