So viel Schnee ist selten: Anfang des Jahres schneite es im Süden Bayerns quasi nonstop. Meterweise türmte sich der Schnee. Und die weiße Pracht wurde mancherorts zur Gefahr – vor allem wegen des Gewichts auf Dächern, steigender Lawinengefahr und unpassierbaren Straßen. Es folgte tagelanger Frost. Doch jetzt steigen die Temperaturen in den positiven Bereich. Am Wochenende sollen sie auch im Alpenraum tagsüber deutlich über null Grad liegen. Manche machen sich nun Sorgen über Hochwasser. Ein Faktencheck:
Behauptung: Mit der Schneeschmelze steigt die Hochwassergefahr im Alpenraum.
Bewertung: Falsch
Fakten: Entscheidend sind vor allem zwei Faktoren: zum einen die Schmelzprozesse im Alpenraum, zum anderen die Beschaffenheit der Flussbetten. Beides führt dazu, dass das bayerische Landesamt für Umwelt (LfU), bei dem der Hochwassernachrichtendienst angesiedelt ist, „keine besonders gefährdeten Bereiche“ im Alpenraum sieht.
Verantwortlich für die Schneemassen in den Alpen waren eine Kombination aus tiefem Luftdruck über Skandinavien beziehungsweise dem Baltikum und einem Hochdruckgebiet über dem Atlantik. So gelangte seit dem Jahreswechsel über Tage hinweg feuchtkalte Luft in einer Nordwestströmung nach Deutschland, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) in einer Analyse schreibt. Sie stauten sich am Nordrand der Alpen sowie an einigen Mittelgebirgen.
An den Stationen Ramsau-Schwarzeck/Schmuck und Bischofswiesen-Loipl wurden um die zwei Meter Schnee gemessen, was dort statistisch gesehen im Mittel alle 30 bis 50 Jahre vorkommt. Ruhpolding-Seehaus meldete sogar 2,10 Meter Schnee, die Zugspitze am 15. Januar 4,65 Meter. Zwar verzeichneten nur einzelne Stationen Rekordwerte. Doch dass die täglichen Neuschneehöhen von 30 bis 50 Zentimetern teilweise an zwei oder drei Tagen hintereinander fielen, kommt laut DWD selten vor. Erst der Zustrom kühlerer und trockenerer Luft aus Nordosten am 14. und 15. Januar führte zu einer Wetterberuhigung.
Schmilzt es nun, sind die Höhenunterschiede in den Fluss-Einzugsgebieten laut LfU entscheidend. Diese sind deutlich größer als etwa in den Mittelgebirgen. „Infolgedessen erfassen die Schneeschmelzprozesse nur Teilbereiche der Einzugsgebiete“, erklärt eine LfU-Sprecherin. „Der Schmelzprozess beginnt in den unteren Tallagen und den Südseiten der Hänge. Dieses Wasser ist schon abgelaufen, bevor der Schmelzprozess auch in den Hochlagen einsetzt.“
Zudem ist für die Schneeschmelze Wärme über Luft, Boden und Strahlung verantwortlich. „Im Winter ist dieser Wärmeeintrag auch bei Warmlufteinbrüchen begrenzt und damit auch die Intensität der Schneeschmelze“, so die Sprecherin. „Aus der Schneeschmelze allein entstehen deshalb im alpinen Raum keine extremen Hochwasser.“
Der zweite wichtige Punkt ist das Flussnetz als Entwässerungssystem, das durch abfließendes Wasser geformt wird. „Im Alpenraum, wo viel Wasser abfließt, ist das Flussbett tiefer sowie breiter und kann mehr Wasser aufnehmen“, erläutert die Sprecherin. Zur Verdeutlichung: Dieselbe Menge Regen würde schon im Norden Bayerns zu weit höheren Ausuferungen und Überschwemmungen führen als im Alpenraum.
Kritisch wird es nach LfU-Angaben nur, wenn es im Frühsommer ergiebig regnet. Dann könne eine Restschneeschmelze in den Alpen die Wassermassen erheblich erhöhen wie etwa beim Pfingsthochwasser 1999 mit Größenordnungen von mehr als 200 Litern pro Quadratmeter in 36 Stunden. Dem war der „Lawinenwinter 1999“ – unter anderem mit der tödlichen Katastrophe von Galtür in Österreich – vorausgegangen. Solche Ereignisse seien aber nur kurzfristig vorhersagbar.
Dabei wird es bei dem einen oder anderen in puncto Hochwasser und Bayern klingeln. Neben dem Hochwasser im Mai 1999, als Iller, Lech, Isar und die Donau zwischen Lechmündung und Regensburg betroffen waren, sind auch sogenannte Jahrhundert-Hochwasser in Erinnerung geblieben: im August 2002 im Osten Bayerns (Regen, Inn und Donau bei Passau), im August 2005 an Iller, Lech und Inn oberhalb der Salzachmündung sowie im Juni 2013 vor allem an der Isar ab der Ampermündung, der Donau ab der Isarmündung, der Salzach und dem Inn unterhalb der Salzachmündung. Doch: „In allen Fällen waren extreme Regenfälle die Ursache für die Hochwasser“, so die LfU-Sprecherin. Nicht die Schneeschmelze.
dpa