Mo, 23.04.2018 , 11:08 Uhr

Detektiv Computer - Software gegen Betrug und Verbrechen

Versicherungen gelten teils als langweilig. Nun wird die Branche Vorreiter bei einem Trend, der auch die Kripo brennend interessiert: der Bekämpfung von Betrügereien per Computer.

 

Versicherungsbetrug ist weit verbreitet – und teuer für die Ehrlichen. Fast jede zehnte Schadenmeldung ist dubios, schätzt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). 2017 wurden nach seinen Zahlen 50,8 Milliarden Euro von Deutschlands Versicherungen an die Kunden gezahlt – mutmaßlich vier bis fünf Milliarden davon ergaunert. Ein Beispiel: Vor jeder Fußball-WM gehen auffällig viele Fernseher kaputt. Erfundene und übertriebene Schäden machen die Beiträge dann für alle Kunden teurer.

 

Künstliche Intelligenz macht es Versicherungsbetrügern in Zukunft schwer: Die Automatisierung der Erkennung macht rapide Fortschritte. Der Computer als Versicherungsdetektiv kann auf Betrugsmuster und Zusammenhänge hinweisen, die ein Sachbearbeiter allein früher nicht aufdecken konnte. Erste Einsatzgebiete für die Technik gibt es auch schon bei der Polizei.

 

Gelegenheits- oder gewerbsmäßiger Betrüger?

 

«Versicherungen sind mit zwei Arten von Betrug konfrontiert», erklärt Jens Ringel, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig. «Gelegenheitstäter und gewerbsmäßige Betrüger, die im Groben wissen, wie die Versicherungen arbeiten. Die Professionellen gehen durchaus auf die Online- und Direktversicherer und schauen, wie gut deren Betrugserkennung ist.»

 

Automatisierung ist der große Trend in der Branche, denn menschliche Sachbearbeiter kosten Zeit und Geld. So werden bei der Allianz als Deutschlands größtem Versicherer in der Autosparte inzwischen über 80 Prozent aller Kfz-Anträge vollständig automatisiert verarbeitet, einschließlich des Versands der Policen an die Kunden. Im Schadenbereich werden vor allem Glasschäden vollautomatisiert abgewickelt, wie ein Unternehmenssprecher sagt.

 

Standard in der Branche: «regelbasierte Betrugserkennung»

 

«Ein hypothetisches Beispiel: ein männlicher Versicherter unter 30 Jahren, der seit weniger als sechs Monaten Kunde ist, ein rotes Auto fährt, der Schaden ist nach 21.00 Uhr entstanden, und kein Polizeibericht ist vorhanden», sagt Bo Soevsoe Nielsen, Direktor für Mittel- und Nordeuropa bei Shift Technology, einem auf Betrugserkennungs-Software spezialisierten französischen Start-up. Erfüllt eine Schadenmeldung derlei Kriterien, kommt sie unter die Lupe.

 

Shift Technology warnt die potenziellen Kunden – durchaus auch in eigenem Interesse – vor Folgeschäden der fortschreitenden Digitalisierung. «Wir gehen davon aus, dass sich mit zunehmender Verbreitung der automatisierten Schadenbearbeitung die Zahl der Betrugsfälle verdoppeln könnte, wenn die klassische regelbasierte Betrugsbekämpfung nicht ersetzt wird», sagt Nielsen.

 

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) ließen sich viel mehr suspekte Fälle lösen als bisher. «Unser System ist auch schwer auszutricksen», sagt Nielsen. «Wenn neue Betrugsmuster auftreten, können wir das sehr schnell erkennen.»

 

Künstliche Intelligenz neuer Trend in der Versicherungsbranche

 

KI ist ein häufig zu hörendes Schlagwort. Dabei werden teils zwei Dinge vermengt: selbstlernende Software und fortgeschrittene Algorithmen, die riesige Datenmengen analysieren, zueinander in Beziehung setzen, potenzielle Betrugsmuster erkennen oder auch vor Gefahren warnen können.

 

«Ein Schadenmitarbeiter konnte bislang nur den Schaden nach den Fakten beurteilen, die er abgeprüft hat», sagt Uwe Jungmann, Geschäftsführer bei der Unternehmensberatung Accenture und Leiter des Bereichs Versicherungen in Deutschland. «Aber er konnte nicht sagen, dass auf ein verwendetes Konto in den letzten sechs Monaten bereits fünf Mal Schaden ausgezahlt wurde.»

 

Die Technik klärt Betrug zwar nicht auf – aber sie gibt Hinweise

 

«Bei Schadenfällen, bei denen die Betrugssoftware einen Verdacht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 70 Prozent signalisiert, wird eine Nachforschung durch einen Schadenspezialisten angestoßen», sagt Jungmann. Auf menschliche «Schadenspezialisten» werden die Versicherungen aber in absehbarer Zeit nicht verzichten können. «Das Entscheidende ist das Zusammenspiel von Mensch und KI.»

 

Interessiert an der Verbrechensbekämpfung per Computer ist naturgemäß auch die Polizei. So lässt sich die von Versicherungen und Banken verwendete Software-Analyse neuer Risiken ebenso gut in der Kriminalprävention verwenden.

 

Im Fachjargon heißt das «predictive analytics», vorausschauende Analyse. So berechnet die bayerische Polizei in München und Mittelfranken mit Hilfe der «Precobs»-Software, mit welcher Wahrscheinlichkeit Wohnungseinbrecher wann und wo zuschlagen könnten.

mhz/dpa

Banken Deutschland Künstliche Intelligenz München münchen.tv Polizei Versicherungen Versicherungsbetrug
Zur Übersicht

Das könnte Dich auch interessieren

10.07.2023 Tierisch München: Sommerfest und Bewohner des Starnberger Tierheims „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“ (Antoine de Saint-Exupéry). Mit diesem Grundsatz hilft das Tierheim in Starnberg seit mittlerweile 70 Jahren Hunden, Katzen und Kleintieren. 19.06.2023 Tierisch München: Exotische Schlagen und blinde Passagiere adoptieren Im Mai 2023 hat die Reptilienauffangstation in München über 200 Tiere aufgenommen. Von Schlangen, Echsen, Schildkröten bis hin zu seltenen Exoten. Der Münchner Verein nimmt Tiere auf und versorgt sie, bis sie adoptiert werden. 22.05.2023 Tierisch München: junge Kätzchen und Katzenseniorin beim Tierschutzverein Schlupfwinkel Am 22. Mai ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt. Ziel ist es, die biologische Vielfalt zu erhalten, zu fördern, ein Bewusstsein für das Angebot zu schaffen und es nachhaltig zu nutzen. Auch hier wollen wir jede Woche die Vielfalt unserer Tierwelt zeigen. Diese Woche sind wir zu Gast beim Tierschutzverein Schlupfwinkel im Landkreis Freising 16.05.2023 Warnstreik am Mittwoch 17.05.2023 im Einzelhandel Im bayerischen Handel hat die Gewerkschaft Verdi für Mittwoch zu Warnstreiks aufgerufen. Insgesamt geht es um mehr als 170 Betriebe aus Einzelhandel, Versandhandel und Großhandel, die sich über den ganzen Freistaat verteilen, erklärte die Gewerkschaft. Sie will mit der Aktion in der laufenden Tarifrunde Druck machen. Angesichts der jüngsten Angebote der Arbeitgeber müsse jeder Euro