Di, 11.10.2016 , 10:35 Uhr

Microsoft: Neue Deutschland-Zentrale als Vorbild für modernes Arbeitsumfeld?

Feste Arbeitszeiten oder Anwesenheitspflichten? Nicht bei Microsoft. Seit Jahren schon macht der Software-Riese mit neuen Arbeitsmodellen von sich reden und heizt die Debatte um Home-Office & Co. in Deutschland mit an.

 

 

In München hat der US-Konzern jetzt die passende Umgebung für die Digitalarbeiter von heute und morgen geschaffen. Wenn sie schon einmal ins Büro kommen, statt von zu Hause aus oder irgendwo in der Welt zu arbeiten, sollen sie sich hier entfalten können. Die neue Deutschland-Zentrale steht so auch für die Verschmelzung von Arbeit und Leben, die nach Überzeugung von Microsoft-Deutschland-Chefin Sabine Bendiek längst begonnen hat.

Den Takt dafür gibt die Industrie 4.0 vor, die geprägt ist durch neue Wettbewerber, kürzere Innovationszyklen und vernetzte Kunden. Zu meistern sind diese Herausforderungen nur mit hoch qualifizierten Wissensarbeitern, sagt Bendiek. „Um ihrer Kreativität Raum zu geben, muss man ihnen gewisse Freiheiten einräumen.“ Deshalb setzt die Managerin auf viel Kommunikation und Eigenverantwortung statt auf starre Regeln und strenge Hierarchien. Warum, fragt sie, sollte eine Mutter sich nicht nachmittags zu Hause für einige Stunden um die Kinder kümmern können – und ihre Arbeit am Abend fortsetzen, wenn der Nachwuchs im Bett ist?

Gelegenheiten für den Austausch mit Kollegen und Führungskräften, für die Arbeit im Team oder fürs konzentrierte Nachdenken sollen die Mitarbeiter in der neuen Zentrale überall finden – ob in den offenen Team-Bereichen, in der Konzentrationszone namens „Think Workspace“, in einer der zahlreichen Sitzecken mit Lounge-Möbeln oder in der schicken Kaffeebar im großen Atrium. Feste Arbeitsplätze gibt es nicht – auch Bendiek selbst findet sich morgens über eine App mit ihrer Assistentin zusammen und wählt sich einen Platz, der für sie gerade am besten passt. Eine „Clean-Desk-Policy“ sorgt dafür, dass sie an jedem Schreibtisch sofort loslegen kann – denn jeder Mitarbeiter soll seinen Platz so verlassen, wie er ihn vorgefunden hat: leer, sauber und ohne persönliche Gegenstände. Die können in Schließfächern, Schränken und Regalfächern untergebracht werden.

Apropos Platz: In der neuen Zentrale hat Microsoft deutlich abgespeckt, vergleicht man sie mit dem früheren Domizil. Da nur noch ein Teil der rund 1900 Mitarbeiter ins Büro kommt, standen dort viele Räume bloß noch leer, sagt Bendiek. Nur noch rund 1100 Arbeitsplätze werden nun im neuen Gebäude vorgehalten – und auch hier ist an einem Vormittag im Oktober längst nicht jeder Schreibtisch in Gebrauch. In Kleingruppen sprechen Kollegen über ihr aktuelles Projekt, die Atmosphäre ist freundlich-entspannt und wirkt ähnlich wie auf einem Hochschul-Campus. Viele tragen Jeans und Sweatshirt oder Pullover, wie auch Bendiek selbst, die sich mit dem Vornamen ansprechen lässt.

All die Lockerheit kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier intensiv und erfolgsorientiert gearbeitet wird – wann und wo mag ja noch egal sein, aber feste Ziele gibt es trotzdem für die Beschäftigten. Werden die nicht erreicht, wird nachjustiert. Als Leistungsdruck will Bendiek das aber nicht verstanden wissen. „Das Schöne ist ja, dass der Mensch per se durch Erfolg sehr motiviert wird“, sagt Bendiek. Das flexible Arbeiten ohne feste Zeiten, Orte und Überstundenerfassung verlange allerdings auch viel Disziplin, räumt sie ein. So müssen die Mitarbeiter nach arbeitsintensiven Phasen selbst für ihren Freizeitausgleich sorgen. Und wenn Bendiek etwa am Wochenende Mails verschickt, die nicht brandeilig sind, schreibt sie möglichst gleich in den Betreff, dass sie erst am Montag dazu eine Rückmeldung braucht.

Bei den Gewerkschaften allerdings hält man die große Flexibilität für trügerisch, wenn zugleich die Zielvorgaben die Beschäftigten unter permanenten Druck setzen. Den Führungskräften komme dabei eine hohe Verantwortung zu – der sie allerdings längst nicht immer gerecht würden, sagt Hilde Wagner, Ressortleiterin Tarifpolitik beim IG-Metall-Vorstand. „Allzu oft sind sie mehr an der Einhaltung ehrgeiziger Projektziele und Kostenvorgaben interessiert als an der Gesundheit ihrer Mitarbeiter“, so die Gewerkschafterin. Die Beschäftigten stünden unter dem Druck ständiger Bewährung, ohne dass sie einen Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Arbeit wie etwa personelle Kapazitäten hätten. „Mehr Druck durch mehr Freiheit“ beschreibe diese paradoxe Situation am treffendsten, meint Wagner. Entscheidend sei, dass Arbeitszeiten erfasst und dokumentiert würden. „Und zwar unabhängig davon, wo sie stattfinden.“

Aufhalten lassen wird sich der Trend zu flexiblen Arbeitsmodellen, Projektarbeit und mehr selbstständigem Arbeiten derweil nicht, glaubt Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit. Mit betrieblichen Vereinbarungen könne es aber gelingen, die Interessen der Unternehmen und Beschäftigten auszutarieren, sagt der Experte. „Die Freiheit darf nicht nur in eine Erhöhung der Arbeitsintensität münden. Denn wenn man nur die Anforderungen erhöht, kann das auch zu gesundheitlichen Problemen bei den Beschäftigten führen.“

 

dpa/lus

Arbeit Bendiek Deutschland Eröffnung homeoffice Konzern Microsoft Microsoft Deutschland München
Zur Übersicht

Das könnte Dich auch interessieren

10.07.2023 Tierisch München: Sommerfest und Bewohner des Starnberger Tierheims „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“ (Antoine de Saint-Exupéry). Mit diesem Grundsatz hilft das Tierheim in Starnberg seit mittlerweile 70 Jahren Hunden, Katzen und Kleintieren. 19.06.2023 Tierisch München: Exotische Schlagen und blinde Passagiere adoptieren Im Mai 2023 hat die Reptilienauffangstation in München über 200 Tiere aufgenommen. Von Schlangen, Echsen, Schildkröten bis hin zu seltenen Exoten. Der Münchner Verein nimmt Tiere auf und versorgt sie, bis sie adoptiert werden. 22.05.2023 Tierisch München: junge Kätzchen und Katzenseniorin beim Tierschutzverein Schlupfwinkel Am 22. Mai ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt. Ziel ist es, die biologische Vielfalt zu erhalten, zu fördern, ein Bewusstsein für das Angebot zu schaffen und es nachhaltig zu nutzen. Auch hier wollen wir jede Woche die Vielfalt unserer Tierwelt zeigen. Diese Woche sind wir zu Gast beim Tierschutzverein Schlupfwinkel im Landkreis Freising 08.05.2023 Tierisch München: Fellnasen aus dem Münchner Tierheim mit besonderen Bedürfnissen Gute Nachrichten: Tierheimbesuche im Münchner Tierheim sind nach einer langen Corona-Pause endlich wieder möglich. Jeden Mittwoch und Samstag öffnet das Tierheim seine Türen und heißt alle Interessierten herzlich willkommen. Während der Besuchszeiten läuft der ganz normale Betrieb weiter, weshalb eine persönliche Beratung zu diesen Zeiten nicht möglich ist. Aber ein Blick hinter die Kulissen ist