Fr, 26.08.2016 , 12:35 Uhr

Von Trinidad an die Isar - und der Liebe wegen Flößer geworden

Jason Charles ist der einzige schwarze Flößer in Bayern. Nach harter Anfangszeit hat er seinen Platz in der Branche gefunden. Und begeistert heute seine Gäste mit guter Laune und einem Mix aus Englisch, Deutsch – und Bairisch.

 

München – Mit dem Rücken zu seinen Gästen steht Jason Charles am vorderen Ruder des Floßes. Die Ampel springt auf grün, ab jetzt hat er noch 30 Sekunden, wie es ihm eine Anzeige mitteilt. Seine Ruderschläge werden stärker, mit aller Kraft lehnt sich der 39-Jährige gegen das Steuer. Hinter ihm ist es ruhig geworden, die sonst so aufgeheiterte Gesellschaft schweigt. Vor ihnen liegt ein 350 Meter weiter und 18 Meter tiefer Kanal, die erste Floßrutsche auf der Tour von Wolfratshausen nach München. Jason atmet noch einmal tief durch, dann bugsiert er das 20 Tonnen schwere Gefährt über die Kante.

 

Schaumiges Wasser spritzt durch die Holzstämme, während das Floß die Rutsche hinab schießt. «Zeigt’s den Leuten, wo ihr herkommt’s», schreit Jason inmitten des tosenden Wassers und hebt seinen Bierkrug. Alle 35 Anwesenden machen es ihm nach. Zehn Sekunden später landet das Floß mit einem lauten Platscher wieder in der Isar. «Business as usual», sagt Jason und hebt die Hände, er lächelt.

 

Seit 14 Jahren ist er als Flößer unterwegs, sechs Mal in der Woche fährt er Touristen aus aller Welt aus dem beschaulichen Wolfratshausen nach Thalkirchen im Münchner Süden. Selbst die Fußballteams vom FC Bayern und 1860 München waren schon zu Gast, Ex-CSU-Chef und Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber kennt er auch.

 

 

Jason hat sich als einziger schwarzer Flößer in Bayern einen Namen gemacht. Er kommt vom kleinen Inselstaat Trinidad und Tobago. Alles begann mit einem Karibik-Urlaub der Flößerfamilie Seitner aus Oberbayern. Bei einem Strandspaziergang kommen sich der junge Jason und die Tochter Martina näher, danach geht alles ganz schnell.

 

Die beiden verlieben sich, wollen heiraten. Mit 24 Jahren, ein Jahr später, geht es für Jason über den großen Teich nach Deutschland. Erst arbeitet er in einem Hotel in München, dann braucht ihn plötzlich Schwiegervater Josef Seitner in Wolfratshausen. Auf dem Floß. «Der Sepp hat mir gesagt, dass er immer mehr internationale Gäste hat. Und weil sein Englisch nicht so gut ist, hat er mich gefragt, ob ich nicht die Touristen auf Englisch unterhalten könne.»

 

Der junge Mann aus der Karibik ist begeistert vom Floßfahren. So sehr, dass er es lernen möchte. Also nimmt Floßmeister Seitner den Insulaner höchstpersönlich unter die Fittiche, zeigt ihm die Feinheiten, schult sein Auge. Alles andere als ein leichtes Unterfangen. «Floßfahren ist wie Zeitung lesen», sagt Seitner, «und der Jason musste am Anfang viel lernen.»

 

Jason stimmt zu: «Es war nicht einfach, weil ich die Sprache und natürlich auch den Dialekt nicht konnte.» Er sei deshalb häufig sehr einsam gewesen, die Mentalität sei außerdem eine ganz andere als in seiner Heimat. Aber Jason beißt sich durch. Zwei Jahre später legte er die Prüfung ab, ohne Fehler. «Besser kann man es nicht machen», sagt Seitner, der mittlerweile nur noch in der Organisation arbeitet.

 

 

Die aktive Rolle auf dem Floß hat nun Jason übernommen – auch wenn die Ehe zwischen ihm und Martina in die Brüche ging. Inzwischen bringt er sogar ihrem neuen Mann das Flößen bei. Michele heißt er, ein Italiener. «Wir verstehen uns sehr gut», sagt der Lehrling zu der auf den ersten Blick nicht ganz einfachen Beziehung. «Wir sind zwei Südländer und auf einer Wellenlänge. Wir können damit umgehen.»

 

Mit großer Umsicht lenken die beiden das Floß über die Loisach, vorbei an schier endlosen Kanälen, vorbei an den Kiesbänken der Isar und dem Vogelschutzgebiet, dort, wo es Jason am besten gefällt. Zu diesem Zeitpunkt hat Jason das Publikum schon längst für sich gewonnen. In Lederhose und mit Trachtenhut schreit er: «Leut‘, passt’s auf! Wenn ihr jetzt alle aufsteht und wir gegen den Felsen krachen, gibt’s Breaking News.» Die Stimmung ist ausgesprochen heiter, als das Floß nach sechseinhalb Stunden am Ziel ankommt.

 

Nur eine halbe Stunde später ist von dem 18 Meter langen Floßkoloss nichts mehr zu sehen. So schnell die Touristen weg sind, so schnell verschwindet auch das Floß aus dem Wasser.

 

Aufbauen, Floß fahren, abbauen, zurückfahren – so geht das den ganzen Sommer über, von Anfang Mai bis Mitte September, zwölf Stunden pro Tag. Nach der Saison fliegt Jason zurück nach Trinidad – dort, wo es auch im Winter sonnig ist und er im Moment ein Haus baut, das er an Touristen vermieten möchte. Nur schade, dass es dort kein Weißbier gibt. «Des is‘ narrisch guat», sagt er in bestem Bairisch.

 

(dpa/lby)

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