Fr., 28.04.2017 , 16:06 Uhr

Kinderschutzbund Bayern: Gewalt in Erziehung seltener, aber heftiger

Erst seit dem Jahr 2000 haben Kinder in Deutschland ein gesetzlich verbrieftes Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Seither hat sich Gewalt in der Eltern-Kind-Beziehung aus Sicht des Kinderschutzbundes in Bayern verändert – verschwunden ist sie aber nicht.

 

Gewalt in der Erziehung kommt nach Einschätzung des Kinderschutzbundes in Bayern selten vor – wenn aber, dann fällt sie umso heftiger aus. Die Gewaltanwendung beginne dann auch deutlich früher, sagte die pädagogische Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Bayern, Margot Czekal, kurz vor dem Tag der gewaltfreien Erziehung an diesem Sonntag in München. «Da sind dann häufig schon sehr kleine Kinder betroffen.» Wissenschaftliche Untersuchungen, die ihre These untermauern, habe sie aber nicht.

 

Ihrer Beobachtung nach werden Kinder vor allem in sozial schwachen Familien geschlagen – und in Familien aus ost- oder südosteuropäischen Kulturkreisen. «Es gibt einfach Kulturkreise, für die Gewalt nach wie vor ein Erziehungsmittel ist.» Hierzulande sei Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder aber vor allem ein Ausdruck von Überforderung. Die Politik müsse Eltern über Kampagnen noch besser vermitteln, dass es in Ordnung ist, sich Hilfe von außen zu holen.

 

Was ohne diese Hilfe passieren kann, zeigen in regelmäßigen Abständen Gerichtsverhandlungen über heftige Fälle: Im März 2017 wurde das Urteil gegen eine junge Frau aus Niederbayern rechtskräftig, die ihr heimlich geborenes Kind mit der Kordel ihres Kapuzenpullis erdrosselte. Ebenfalls im März verurteilte das Augsburger Amtsgericht ein Ehepaar, das seine Tochter jahrelang sadistisch misshandelt hatte. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.

 

Wie das bayerische Sozialministerium mitteilte, soll es nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung künftig möglich sein, dass beispielsweise Ärzte Informationen über eine akute Gefährdung eines Kindes für sich behalten und das Jugendamt hierüber nicht informieren müssen. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller hält das für falsch: «Es darf kein Signal verloren gehen, wenn es um den Verdacht auf Gewalt gegen Kinder geht.» Bayern habe deshalb seit 2008 eine Mitteilungspflicht für Ärzte, wenn sie Hinweise auf Gewalt gegen Kinder haben.

 

Wie viele Kinder in Bayern und Deutschland heute noch von ihren Eltern geschlagen werden, ist unklar. «Belastbare Daten über das Ausmaß von Vernachlässigungen und Misshandlungen junger Menschen in ihren Familien liegen nicht vor», sagte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums. «Sicher ist, dass wir es hier mit einem erheblichen Dunkelfeld zu tun haben.» Die niedrigste Schätzung liege bei knapp 50 000 Fällen pro Jahr.

 

Nach Angaben des Bundesverbandes des Kinderschutzbundes gab es zuletzt vor 20 Jahren, im Jahr 1997, eine Studie, in der Kinder und Jugendliche repräsentativ zu ihren Gewalterfahrungen in der Familie befragt wurden. Seit dem Jahr 2000 ist das Recht eines Kindes auf gewaltfreie Erziehung ausdrücklich im Gesetz verankert.

 

Laut einer Mitte März dieses Jahres vorgestellten repräsentativen Studie der Universität Ulm hat ein Drittel (30,8 Prozent) der Bevölkerung in Deutschland als Kind Erfahrungen mit Gewalt machen müssen. Sechs Jahre vorher waren es in einer vergleichbaren Untersuchung 35,5 Prozent.

 

Rund jeder sechste Befragte (12,3 Prozent) gab in der jüngsten Studie an, als Kind Schläge, Stockhiebe oder andere schmerzhafte Prügelstrafen bekommen zu haben. Die Zahl ist seit 2010 damit fast gleich geblieben (12,1 Prozent). Dazu kamen Erfahrungen mit emotionaler Misshandlung wie Mobbing oder Ignorieren und körperliche Vernachlässigung.

 

«Es gilt nicht nur, bei körperlicher Gewalt hinzuschauen, sondern auch bei seelischer und psychischer, die aber keine offensichtlichen Spuren hinterlässt», sagte Martina Huxoll-von Ahn vom Bundesverband des Deutschen Kinderschutzbundes, die die Beobachtung ihrer Kollegin aus Bayern nicht teilt. «Aber es ist auch klar, dass es ein riesiges Dunkelfeld gibt.»

 

dpa

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