Erst muss er in die Stichwahl, dann ringt er wochenlang um Mehrheiten. Der neue Münchner Rathauschef Dieter Reiter hat nicht gerade einen Traumstart erlebt. Jetzt macht er auch noch gemeinsame Sache mit dem Ex-Gegner CSU. Eine Notlösung – viele sind enttäuscht.
Grund zum Jubeln hatte der neue Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bisher praktisch nur in Sachen Fußball: Bei der Meisterfeier und am Sonntag nach dem DFB-Pokalsieg, als die Bayern auf dem Marienplatz das Double feierten.
Ansonsten liegt hinter ihm ein steiniger Weg. Und vor ihm auch. Nach einem zähen Start geht der neue Rathauschef nun ein Bündnis mit dem bisherigen erbitterten Gegner CSU ein. Viele innerhalb und außerhalb der eigenen Partei sind enttäuscht. Von Fehlstart ist schon die Rede.
«Es gibt nicht viele Oberbürgermeister, die einen dermaßen schwierigen Start in das Amt hatten», räumt der Münchner SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann ein. Aber was hätte Reiter tun sollen? Er musste in die Stichwahl, von dem zwei Drittel-Ergebnis seines prominenten Vorgängers Christian Ude war der Newcomer weit entfernt. Die SPD verlor bei der Kommunalwahl Stimmen – und ihre Stellung als stärkste Fraktion im Rathaus. Verärgerte SPDler beklagten den «langweiligsten Kommunalwahlkampf aller Zeiten».
Klar, dass dies teils auch Reiter angelastet wird. «Es macht keinen Sinn, die Augen zu verschließen. Wir haben diese Wahl verloren. Das ist absolut bitter», gibt er zu. «Wir müssen diskutieren, wie es dazu kam, damit wir es in den nächsten sechs Jahren besser machen.»
Das wird nicht leicht. Ein komfortables Rot-Grün wie bei Ude geht nicht mehr. Ein Minderheitenbündnis mit den Grünen wollte Reiter nicht. Versuche, mit den Grünen und einer kleinen Partei ein mehrheitsfähiges Bündnis zu bilden, scheiterten ebenso wie schwarz-rot-grüne Gespräche.
Reiter rudert. «Es ist eine reine Vernunftehe», rechtfertigt er das ungeliebte Schwarz-Rot. Aber damit ist fast ein Vierteljahrhundert erfolgreicher rot-grüner Zusammenarbeit beendet. Viele sind sauer. Sie sorgen sich um die Zukunft von Mieterschutz und ökologischen Ideen, um den Umgang mit Migranten und den sozialen Ausgleich.
Auf dem Parteitag der Münchner SPD am Montagabend bekommt Reiter – an seinem 56. Geburtstag – deutliche Worte. «Ich habe Dich im Wahlkampf stark unterstützt. Das, was Du hier vorschlägst, kann ich nicht mittragen», ruft Ex-Bürgermeister Klaus Hahnzog dem Parteifreund zu. Die Rede ist vom Ende einer Lebensphilsophie und Wertegemeinschaft. Nach stundenlanger Debatte stimmen nur 71 Delegierte für das Bündnis mit der CSU, 51 dagegen. «Das hat mit Unstimmigkeiten nichts zu tun. Das ist ein demokratischer Prozess», sagt Reiter. Angesichts des Ergebnisses klingt das aber doch ein bisschen dünn.
Von seinem Vorgänger und Förderer Ude bekam Reiter auch sein Fett ab. Rot-Grün, dozierte der Alt-OB, sei für ihn nicht nur ein politisches Farbenspiel gewesen, «sondern ein inhaltlicher Auftrag». Udes Angriffe kamen freilich nicht überall gut an. Reiters Replik: «Keiner ist unfehlbar, auch nicht der Oberbürgermeister. Jedenfalls nicht der aktuelle.» Nicht schlecht für einen, der allzu offen zugibt, dass er nicht so gut reden kann wie sein berühmter Vorgänger.
Viele sehen Reiters Zwangslage – und fürchten eine weitere Schwächung der SPD. Bayerns SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen rief die Münchner Sozialdemokraten auf, die internen Verwerfungen zu überwinden. Der Münchner SPD-Politiker Roland Fischer mahnte: «Bei allen Bauchschmerzen, die wir haben: Wir brauchen eine vernünftige Lösung und wir brauchen einen Oberbürgermeister, den wir nicht gleich zu Anfang selbst demontieren. Wir haben nur diesen einen.»
Was in dem Trubel kaum jemand beachtet: CSU und SPD teilen sich die Rathaus-Posten. Aber ihre Bündnisvereinbarung trägt grüne und sozialdemokratische Züge – auch ein Erfolg Reiters. Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb: «Im Münchner Rathaus regiert künftig Rot-Schwarz – mit einem ziemlich rot-grünen Programm.»
Auch über die Unterzeichnung des Papiers können Sie sich heute Abend detailliert informieren; münchen.tv ist mit einem Kamerateam vor Ort.
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rg / dpa