Do, 21.01.2016 , 09:36 Uhr

Schausteller beklagen das Aussterben der kleinen Volksfeste

Immer neue Rekorde bei Oktoberfest und Co.. Doch die Wirklichkeit auf deutschen Rummelplätzen sieht anders aus. Seit der Jahrtausendwende ist jedes vierte Volksfest von der Bildfläche verschwunden. Viele Schausteller kämpfen um das Überleben.

 

 

Das größte aller Volksfeste prägt bei vielen Menschen in aller Welt das Bild Deutschlands mit. Das Oktoberfest ist ein Exportschlager, wird auf allen Kontinenten kopiert. Doch jenseits der Münchner Wiesn gibt es im Land tausende kleinere Volksfeste. Und die Schausteller, die seit Jahrhunderten die Tradition weitertragen, kämpfen oftmals ums Überleben. Dabei haben es ausgerechnet die Stars der Rummelplätze schwer. „Wir haben viele Insolvenzen, gerade was große Anlagen wie Achterbahnen angeht“, sagt der Augsburger Schausteller und Funktionär Josef Diebold.

 

In Augsburg werden von diesem Freitag bis Sonntag rund 500 Delegierte des Deutschen Schaustellerbundes die Probleme diskutieren. Die Unternehmer kämpfen mit bürokratischen Vorschriften, hohen Transportkosten und dem Sterben von kleinen Volksfesten. Zu der Veranstaltung werden auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) erwartet. Auf einer Fachmesse werden 130 Aussteller – vom Karussellhersteller bis zum Fahrchip-Anbieter – auf 8000 Quadratmetern die Neuigkeiten der Branche zeigen. Die Organisatoren rechnen mit etwa 5000 Besuchern.

 

 

Nach Angaben des Verbands gibt es derzeit noch 4950 Schaustellerbetriebe mit knapp 22 .800 Mitarbeitern in der Bundesrepublik. Die Unternehmen betreiben demnach rund 11.100 Geschäfte „vom Imbiss bis zur Achterbahn“ und bringen es auf einen Jahresumsatz von 3,7 Milliarden Euro.

 

Doch die Branche wird von offiziellen Stellen statistisch kaum erfasst. Daher hat der Spitzenverband im Jahr 2012 eine umfangreiche Studie darüber erstellen lassen, wie die Lage auf den deutschen Kirmesplätzen ausschaut. Die Ergebnisse der Untersuchung waren teilweise alarmierend. Denn während Millionen-Besuchermagnete wie das Oktoberfest oder die Cranger Kirmes in Herne gerne mit immer neuen Superlativen werben, war die Zahl der Volksfeste insgesamt in den zwölf Jahren seit der Jahrtausendwende um fast ein Viertel auf 9900 zurückgegangen.

 

 

Etwa 3030 Volksfeste seien einfach „von der Bildfläche verschwunden“, fanden die Forscher heraus. In größeren Kommunen seien oft die kleineren Stadtteilfeste eingestellt worden, nur die zentralen Jahrmärkte hätten dort überlebt. Entsprechend sank in Deutschland die Zahl der Festbesucher von 170 auf 148 Millionen pro Jahr.

 

Die Betreiber von Autoscootern, Kettenkarussells und Riesenrädern kämpfen heutzutage nach Angaben von Schausteller-Funktionär Diebold besonders mit den hohen Transportkosten. Die High-Tech-Anlagen müssten aufwendig mit Schwertransportern unter strengen Auflagen durch die Lande gefahren werden. Für ein Hamburger Unternehmen lohne sich da ein Abstecher in den Süden der Republik nicht. „Ich kann nicht mit 60 oder 70 Tonnen Stahl durch Deutschland fahren, das haut nicht hin“, sagt der Chef des Schwäbischen Schaustellerverbandes.

 

 

Nachdem die klassischen Volksfeste immer weniger werden, sind die 1450 Weihnachtsmärkte mit ihren rund 85 Millionen Besucher für Diebold und seine Kollegen längst zu einem wichtigen Standbein geworden. Der Dezember sei teils die lukrativste Zeit im ganzen Jahr, sagt der Augsburger Bruno Noli, der mit sechs festen Mitarbeitern und zusätzlichen Aushilfen einen Scooter und Süßwarengeschäfte betreibt.

 

Doch wie viele andere Schausteller schüttelt er den Kopf über die Zahl von Vorschriften, die er als Mittelständler beachten müsse. Verschiedenste Behörden vom Landratsamt bis zum Zoll würden auf den Volksfesten permanent die Einhaltung der Gesetze kontrollieren. „Wir sind in ständiger Überwachung“, meint Noli.

 

 

Für Ärger sorgte bei den Unternehmen zuletzt besonders „DIN EN 13814“ – eine europäische Sicherheitsnorm. Die Bundesrepublik sei bei der Umsetzung einen Sonderweg gegangen und habe den Fahrgeschäften „den ansonsten in allen EU-Ländern geltenden Bestandsschutz für bereits bestehende Anlagen verwehrt“, kritisiert der Verband. Die fälligen Überprüfungen und Nachrüstungen könnten mehr als 100.000 Euro verschlingen und das „Aus“ für die Betriebe bedeuten.

 

Die erfahrenen Schausteller Diebold und Noli empfehlen angesichts technischer und rechtlicher Hürden Berufseinsteigern eine Hochschulausbildung: „Ein Ingenieur-Studium wäre nicht schlecht“, meint Diebold. „Oder Rechtsanwalt“, ergänzt Noli.

(dpa)

 

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