Mo, 09.10.2017 , 09:45 Uhr

"Obergrenze light" - CDU und CSU einigen sich im Flüchtlingsstreit

CDU und CSU schaffen nach zehnstündigen Verhandlungen die «Quadratur des Kreises», wie Merkel eine Lösung im Obergrenzen-Streit bezeichnet hatte. Die Union will die Anzahl der Flüchtlinge mit einer Grenzmarke deckeln. Das macht Jamaika nicht unbedingt leichter.

 

CDU und CSU haben sich nach jahrelangem Streit über eine Flüchtlings-Obergrenze auf das Ziel verständigt, maximal 200 000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Der Kompromiss beinhaltet eine Ausnahme für Sondersituationen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag aus Teilnehmerkreisen der Verhandlungen über den Unionskurs für die anstehenden Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen. Mit dem Kompromiss haben die Schwesterparteien nun eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik für diese sogenannten Jamaika-Verhandlungen. Die Beratungen über anderen Streitthemen wurden vertagt.

 

In der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Endversion der Einigung heißt es: «Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.» Subsidiär Geschützte sind Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, «Relocation und Resettlement» meint die gesteuerte Umsiedlung von Flüchtlingen. Die Zuwanderung von Arbeitskräften oder EU-Ausländern ist nicht betroffen.

 

CDU und CSU haben sich demnach auf konkrete Maßnahmen geeinigt, die die Einhaltung dieses Rahmens von 200 000 Menschen sichern soll. Genannt werden dabei die Themen Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenzen, die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort sowie die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) und des Dublin-Systems.

 

Um die Grenze einzuhalten, plant die Union mehrere Maßnahmen:

 

– FLÜCHTLINGSZENTREN: Neu ankommende Asylbewerber sollen in speziellen Aufenthaltszentren, sogenannten «Entscheidungs- und Rückführungszentren» bleiben, bis über ihre Verfahren entschieden ist. Vorbild seien entsprechende Einrichtungen in den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg. Falls Anträge abgelehnt werden, sollten die Betroffenen von dort aus zurückgeführt werden.

 

– HERKUNFTSLÄNDER: Zudem soll die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert werden – mindestens um Marokko, Algerien und Tunesien.

 

– GRENZKONTROLLEN: Sie sollen so lange aufrecht erhalten werden, bis der Schutz der Außengrenzen der EU gewährleistet ist.

 

– FAMILIENNACHZUG: Der Familiennachzug von subsidiär Geschützten soll ausgesetzt bleiben.

 

– ABSCHIEBUNGEN: Die Union will Anstrengungen verstärken, Ausreisepflichtige abzuschieben.

 

– FLEXIBILITÄT: Sollte die Begrenzung von 200 000 Flüchtlingen durch internationale oder nationale Entwicklungen wider Erwarten nicht eingehalten werden, sollen Bundesregierung und Bundestag Anpassungen nach oben oder unten beschließen.

 

– EINWANDERUNG IN DEN ARBEITSMARKT: Sie müsse sich am Bedarf der Volkswirtschaft orientieren. «Kein Arbeitsplatz soll unbesetzt bleiben, weil es an Fachkräften fehlt.» Deshalb soll ein «Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz« erarbeitet werden.

 

Krisensitzung endete erst nach zehn Stunden

 

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer wollen den Kompromiss zur Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik an diesem Montag um 12.00 Uhr bei einer Pressekonferenz in der CDU-Zentrale in Berlin erläutern.

 

Mit der Zahl 200 000 hat Seehofer zumindest einen gesichtswahrenden Kompromiss erreicht. Er hatte in den vergangenen Jahren gegen Merkels strikten Widerstand auf einer Flüchtlings-Obergrenze in dieser Größenordnung bestanden. Auch die Grünen sind gegen eine Obergrenze.

 

CSU-Politiker begrüßen einheitlich Einigung zur Flüchtlings-Obergrenze

 

Der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, die mitverhandelt hatten, begrüßten die Einigung anschließend. Aber auch Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte in der ARD-Sendung von Anne Will: «Ich glaube, dass das ein gutes Ergebnis ist, mit dem man jetzt in die Koalitionsverhandlungen gehen kann.»

 

Obergrenze sei Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

 

Grünen-Chefin Simone Peter äußerte sich hingegen kritisch: «Und wo ist da der Unterschied zur #Obergrenze? Zahl ist völlig beliebig, also rein ideologisch festgelegt. Für uns gilt Grundrecht auf Asyl!», schrieb sie im Kurzmitteilungsdienst Twitter.

 

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl erklärte, eine Obergrenze sei ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. «Menschenrechte kennen keine Obergrenze, niemand darf in einer Situation, in der Folter oder unmenschliche Behandlung droht, zurückgewiesen werden», argumentierte Geschäftsführer Günter Burkhardt.

 

Seehofer drang auf eine konservative Rückbesinnung der Union

 

In einem Zehn-Punkte-Plan hatte Seehofer eine Hinwendung zu klassisch konservativen Themen wie Leitkultur und Patriotismus gefordert, um die gesamte Union auf einen konservativeren Kurs zurückführen. Die Union war bei der Wahl am 24. September zwar stärkste Kraft geworden, hatte aber mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 eingefahren. Nachdem sich die SPD auf eine Oppositionsrolle festgelegt hat, will Merkel mit FDP und Grünen über ein Bündnis verhandeln.

 

Die Grünen fordern von der Union ein baldiges Signal zur Aufnahme von Jamaika-Sondierungen. «Die Sondierungsgespräche, die schwer genug werden, müssen spätestens nach der Niedersachsenwahl beginnen», sagte Parteichef Cem Özdemir am Sonntag. Die Probleme würden nicht warten.

 

CDU-Chefin Merkel hatte am Samstag beim «Deutschlandtag» der Jungen Union angekündigt, man werde mit FDP und Grünen «um die richtigen Antworten ringen». Über einen Koalitionsvertrag werde ein Sonderparteitag der CDU entscheiden.

dpa

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