Mi, 21.12.2016 , 11:56 Uhr

Digitale Streife - Polizei und Social Media im Jahr 2016

2016 wird auch als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem Twitter und Facebook Einzug in das Standard-Repertoire der deutschen Polizei hielten. Spätestens der Amoklauf von München hat gezeigt, wie sehr die Polizeiarbeit sich inzwischen verändert hat.

 

 

München – Als der Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) die Stadt in Atem hielt, wurde Polizeigeschichte geschrieben. Und das nicht nur, weil sich das schreckliche Verbrechen mit neun ermordeten Menschen in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, sondern auch, weil sichtbar wurde, wie sehr sich die Kommunikation der Polizei in den vergangenen Jahren verändert hat.

 

„In Sachen Social Media ist 2016 für die Polizei das Jahr mit der größten Weiterentwicklung“, sagt der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg. „Das war das Schaltjahr. Die Sicherheitsbehörden haben endgültig erkannt, dass sie es sich nicht mehr erlauben können, im Netz nicht aktiv zu sein. Stellen Sie sich mal vor, die Münchner Polizei wäre beim Amoklauf nicht bei Twitter gewesen.“

 

München ist immer noch das große, herausragende Beispiel für die Polizeikommunikation über Twitter und Co. In rasender Geschwindigkeit verbreiteten sich dort tatsächliche Neuigkeiten und Falschmeldungen gleichermaßen. Die Polizei versuchte, das Chaos zu ordnen. Auch wenn die Aktivitäten der Beamten nicht unumstritten sind, hat der Bundesverband deutscher Pressesprecher die öffentliche Kommunikation der Polizei in der Münchner Amoknacht mit einem Sonderpreis ausgezeichnet.

 

„Wir hatten an dem Abend pro Minute 100 Nutzer-Interaktionen, also Kommunikation mit Bezug zu uns, für die fünf Leute zuständig waren“, sagt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, der seit dem Schicksalsabend ein kleiner Star ist. Seit dem Einsatz hat er eine Fanseite bei Facebook mit fast 63.000 Anhängern.

 

„Ich bin nicht bereit zu sagen, Social Media ist das Problem. Aber natürlich ist beliebig veränderbare Massenkommunikation manchmal schwierig. Stille Post 2.0. Vor allem Whatsapp scheint an diesem Abend eine Rolle gespielt zu haben, die wir unterschätzt haben“, sagt der Polizeisprecher.

 

Das Polizeipräsidium in der bayerischen Landeshauptstadt steht mit seinen Twitter-Aktivitäten längst nicht allein da. Beim Fall Al-Bakr in Chemnitz informierte die sächsische Polizei ebenfalls über Twitter – und fand dabei auch deutliche Worte: „An alle Kleingeister, welche Ressentiments und Sinnlos-Meldungen verbreiten. Es ist einfach nur respektlos gegenüber der Lage in #Chemnitz!“, hieß es zu ausländerfeindlichen Reaktionen auf den Fund von Sprengstoff in einer Chemnitzer Wohnung und die Fahndung nach einem jungen Syrer, der unter Terrorverdacht stand und sich später in der Untersuchungshaft das Leben nahm.

 

Weniger dramatisch eine Aktion der Berliner Polizei aus dem November: Weil dort täglich mehrere hundert Menschen den 110-Notruf für Banales nutzen, dokumentierte die Polizei unter dem Hashtag #NoNotruf auf Twitter Anrufe, die keine Notrufe waren – darunter Fragen wie „Wie kann ich meine Frau loswerden?“, „Können Sie mich zum Supermarkt fahren? Es regnet und ich will nicht laufen“ oder „Wie oft muss ich beim Entkalken meiner Kaffeemaschine mit Wasser spülen, damit der Kaffee wieder schmeckt?“

 

Nach Angaben des Kriminologen Rüdiger haben rund 90 Polizeiinstitutionen aktive Accounts. Zum Vergleich: 2012 waren es nur 19. Seitdem auch die Polizei im Saarland seit diesem Sommer facebookt, seien alle Länder- und Bundespolizeien im Netz vertreten. Inzwischen gibt es auch Polizei-Accounts bei Instagram, die Berliner Polizei ist bei Snapchat. Und bei der Polizei im Norden twittert ein Beamter ganz individuell: Johannes Lind, Leiter der Polizeiinspektion Leer/Emden I hat damit nach Einschätzung Rüdigers Polizeigeschichte geschrieben. „Das ist ein Dammbruch. Individuelle dienstliche Auftritte von Polizisten in Deutschland waren bislang so etwas wie der Heilige Gral.“

 

Diese Entwicklung macht Datenschützern nicht nur Freude: „Im Grundsatz halte ich den Betrieb von Fanpages auf Facebook durch bayerische Behörden derzeit nicht für zulässig“, sagt der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri. „Denn ich gehe von erheblichen Datenschutzverstößen von Facebook im Umgang mit den Nutzungsdaten aus.“ Und dafür hätten die Behörden dann eine Mitverantwortung, wenn sie eigene Facebook-Seiten einrichteten.

 

Aber: „Bei einer Fanpage der Bayerischen Polizei sehe auch ich die Sachlage anders, wenn der Betrieb im Zusammenhang mit der Gefahrenabwehr steht“, sagt Petri. „Insofern liegt hier eine besondere Ausnahmesituation vor, in der ich mich nicht grundsätzlich gegen eine Fanpage der bayerischen Polizei wende.“

 

Für den Kriminologen Rüdiger geht die Polizeipräsenz im Netz noch lange nicht weit genug. In den Niederlanden und Großbritannien sei man da beispielsweise schon sehr viel weiter. „Da ist es normal, dass die Polizei mit tausenden individuellen Beamten im Netz präsent ist. Dies ist auch eine Möglichkeit um die Polizei und somit auch den Rechtsstaat im Netz stärker zu verankern.“

 

Rüdiger hofft, dass die Aufmerksamkeit, die die Münchner Polizei für ihre Online-Aktivitäten bekommen hat, dem Thema langfristig so viel Aufwind gibt, dass eine breite gesellschaftliche Debatte entsteht. „Wir brauchen eine Verlagerung der bisher eher fachinternen Diskussion darüber, welche Rolle die Polizei im Netz eigentlich grundsätzlich einnehmen soll, hin zu einer breit angelegten gesellschaftlichen Debatte.“

 

 

dpa

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